Der Welterdölmarkt steht unter Schock: Die Rohölproduktion steigt, ohne dass eine höhere Nachfrage bestünde. Der Internationalen Energieagentur IEA zufolge werden deshalb die Preise im Laufe des gesamten Jahres 2015 weiter sinken. Die Sprecher der Agentur glauben, „dass wir wahrscheinlich ein neues Kapitel der Geschichte des Erdölmarktes schreiben“.

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In den letzten Wochen ist der Brent-Rohölpreis – einer der höchsten Referenzwerte des Marktes – unter den in den letzten vier Jahren erreichten Mindestwert gesunken: 80 Dollar pro Barrel (einige Tage später lag er bereits bei 75 Dollar). Die Mitglieder der OPEC versammeln sich am 27. November, um die weitere Preispolitik abhängig vom derzeitigen Angebots- und Nachfrageverhältnis zu diskutieren. Analytiker glauben allerdings, dass die Ursachen für diesen Preisabfall nicht ausschließlich in der Dynamik dieses Binoms liegen, sondern in der geopolitischen Lage zu suchen sind (siehe dazu die Artikel Tanz der Zahlen, aber auch der Stühle, auf der Weltbühne des Rohöls und Schiefergas und die Neostrategie der USA, die wir in diesem Blog veröffentlicht haben).

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In einem Szenarium wie diesem müssten die Rohöl produzierenden Länder, z.B. Saudi-Arabien, eigentlich die Produktion senken, um eine Preissteigerung zu forcieren und ihre Einnahmen zu garantieren; aber die Praxis sieht anders aus. Andererseits können Länder, die dank des Frackings eine höhere Energieunabhängigkeit erreichen und zu Exportländern werden, z.B. die USA, bedeutend benachteiligt werden, wenn die derzeitige Preistendenz weiter anhält, da diese Förderungstechnik mit derart hohen Kosten verbunden ist, dass sie unrentabel wird. Einige Experten glauben daher, dass Saudi-Arabien mit seiner Strategie, trotz wirtschaftlicher Verluste das Förderungsvolumen aufrechtzuerhalten, einige Wirtschaftsmächte, z.B. Russland, schwächen will und die Produktion „neuen“ Rohöls in den USA zu bremsen beabsichtigt.
Welche Gründe auch immer den Ölmarkt erschüttern, Tatsache ist, dass Länder, die am meisten von fremder Energie abhängig sind, einen größeren Profit von der Situation haben werden. Europa erlebt zum Beispiel gerade eine geringere Nachfrage nach Energie; das könnte – zusammen mit der Abstiegstendenz des Rohölpreises – zu einer Stimulierung seiner Wirtschaft beitragen. Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass Europa von den Schachzügen Saudi-Arabiens abhängig ist. Zweifelhaft ist auch, inwieweit sich die Situation auf die Ölgesellschaften auswirken wird, wie viel die Industrie und Unternehmen mit einem hohen Kraftstoffverbrauch von den niedrigen Ölpreisen profitieren werden und wann sich die Reduktion der Kosten für Benzin, Heizöl oder Flugtickets beim Verbraucher bemerkbar machen wird. Vielleicht muss man sich aber auch fragen, ob sich Verbraucher und Unternehmen überhaupt über niedrigere Preise freuen dürfen, da die Kosten für die Raffination des Öls, für seine Umwandlung in Kraftstoff und für die Benzinsteuern trotz Veränderung des Endpreises gleich bleiben. Außerdem sehen die Ölgesellschaften ihre Verkäufe gemindert und werden deshalb wohl kaum auf ihre Profitmargen verzichten. Die Abwertung des Euro ist ein weiterer Aspekt, der nicht gerade von Vorteil ist, denn die Ölgesellschaften kaufen das Rohöl in Dollar und verkaufen den fertigen Kraftstoff in Euro.
Es bleibt abzuwarten, was beim OPEC-Meeting entschieden wird.